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Zürich – Sittlisalp – Zürich in 24 Stunden


VonPatrick Sticher- Geschrieben am07 September 2008

Die Gelegenheit für ein lange geplantes Wochenende auf der Sittlisalp ergab sich für mich dank Madonna. Gaby und Reto haben dieses Konzert besucht. Die drei Hunde habe ich während des Konzerts gehütet, oder die Hunde mich, je nachdem, und meine Frau und ich konnten der Hirtin und Reto ein Gästezimmer anbieten. Nachdem Gaby wegen eines frühen Termins mit Schafbesitzern um 5 Uhr losgefahren war, folgten Reto und ich gemächlich gegen 9 Uhr. Für mich folgten ziemlich genau 24 Stunden im Sulztal und auf der Sittlisalp. Was ist augenfällig, wenn man von Zürich hierher kommt? Was ist anders als in der Stadt? 1. Schafe überall Reto hatte mich informiert. Heute würden die Schafe von den höheren Regionen runtergeführt. Unser Plan: Wir wollten mit dem Eggerswiler Bähnli hochfahren und ins Sulztal wandern. Wohl würden wir dann zusehen können wie die Schafe über wildes Gelände ins flachere Sulztal getrieben würden. Die ersten Schafe sahen wir auf dem Wanderweg liegen. Sie bewegen sich schwerfällig, wenn wir näher kommen. Ich finde Schafe merkwürdig. Vorwurfsvoll schauen sie einen an, und gehen ein paar Schritte weiter. Andere vermuten Salz bei einem und folgen auf Schritt und Tritt. Schafe überall, gerade Blicke in Schafsaugen. Von hoch oben, unter den Felsen, klettern sie runter, in Reih und Glied über einen Wasserfall. Es blöckt von allen Seiten. Dazwischen die Rufe der Schafbesitzer. Irgendwie hektisch. 2. Freundlich Ich erlebte eine unglaubliche Gastfreundschaft. Das entscheidende Kriterium war wohl, dass ich mit Reto unterwegs war und der wiederum der Freund der Hirtin ist. Damit gehört man dazu. Keine Frage. Toni sah uns beim Picknick von weitem und stackste eigens durch ein Flussbett um Reto zu begrüssen. „Schaut Ihr nachher noch vorbei“. Natürlich. Bei Toni gab es ein Pony (ein kleines Bier). Dann einen Kaffee und Pastete. Und noch einen Kaffee und Fruchtsalat. Alles im Kreise der Familien und der vielen Schafbesitzer, die vorbeikamen und vom Tag rapportierten. Am Ende durfte ich noch alles besichtigen. Auch später: Selbstverständlich wird das Auto angehalten, wenn jemand rein winkt. Sehr schnell wird man auf einen Kaffee eingeladen und einen Wortwechsel. Diese selbstverständliche Zugehörigkeit und Aufnahme ist für einen Kurzbesucher sehr schön. Auf die Dauer wäre das für mich etwas anstrengend, da ich die Anonymität der Stadt mag. Niemanden kennen im Coop und den Salat unerkannt aufs Band legen. 3. Die richtige Hose Wenn wir schon bei anstrengend sind: in Zürich ist alles Stil. Die richtige Hose, das richtige Sofa, der richtige Beruf. Diese Selbstdefinition über den Lebensstil finde ich sehr städtisch – und sehr anstrengend. Auf der Alp ist das entscheidende Kriterium: es muss praktisch sein. Natürlich sind alle ähnlich angezogen, und man könnte sich fragen, ob das ein eigener Alpenstil ist, aber ich denke, das ergibt sich aus praktischen Gründen. Mit Gaby und Reto haben wir darüber gesprochen. Bei einem Schafbesitzer ist mir aufgefallen, dass er die Hosen bis unter die Knie hochgekrempelt hat und ich vermute hier einen eigenen Stil, einen Modegag, den Wunsch anders zu sein? Doch Gaby klärt mich auf. Das habe praktische Gründe. Das nasse Gras am morgen mache das nötig, um feuchte Hosenbeine zu vermeiden. 4. Ein Heissgetränk Schächentaler Kaffee? Hier das Rezept: Eine Tasse heisses Wasser, ein halber Löffel Nescafé (offenbar sind 32 Körner optimal), Zucker, Schnaps nach Wunsch. Bei Toni ging das so, dass Thermoskannen mit heissem Wasser auf den Tisch gestellt wurden mit der Aufforderung „Reichet an“. Dann wurde ein Döschen mit Nescafé rumgereicht und man traute sich gar nicht, mehr als einen halben Löffel rauszunehmen, weil man vermutet, das Döschen müsse noch ein, zwei Jahre halten. Die Zuckerdose war übrigens gleich gross wie die Kaffeebüchse. Dazu diverse Schnäpse, die den Kaffee aufwerten. Später auf der Sittlisalp zeigt mir Gaby eine Espressokanne, welche sie für die Käserin auf Besuch im Einsatz hatte. Der Siebeinsatz war gerade mal knapp mit Kaffeepulver bedeckt. Die Käserin fand den Kaffee etwas zu stark. 5. Spiegelrohren „Jetzt werden wir gespiegelrohret“ sagt mir Reto schon kurz nach dem Aussteigen aus dem Eggerschwiler Bähnli (Übrigens: die Türen lassen sich während der Fahrt öffnen). Das Spiegelrohr ist ein Feldstecher, ein Fernglas. Im Schächental auch als Verb. Und: es wird ständig gespiegelrohret. Beim Toni sitzt mir ein Schafbesitzer gegenüber der ständig spiegelrohret – Gemsen, Schafe, Ziegen. Ich weiss nicht was, sehe kaum etwas. Zwar habe auch ich ein Spiegelrohr mitgebracht, es aber im Rucksack verstaut, und ich traue mich dann nicht so recht, mitzuspiegelrohren. Die Einheimischen tragen es griffbereit umgebunden in einem kleinen Ledertäschchen vor dem Bauch. 6. Natur Am Sonntag Abend erleben wir ein Gewitter in der Hütte von Gaby. Ein helles Blitzen - eins, zwei, drei, vier - dann gewaltiger Donner, der von Felswand zu Felswand geworfen wird und unendlich lange grummelt. Sina zittert, die anderen beiden Hunde sind gelassener. Dann ein ganz praktisches Naturerlebnis: Wir können die Dusche und das WC des Nachbarn benutzen, was 200 m Dunkelheit auf nassem Gras im Regen bedeutet. Da nützt es wenig, die Hosen hochzukrempeln. Ausserdem, wer will schon mit einem Schirm mit Metallgriff durch ein Gewitter rennen? Zum Glück dauert ein Gewitter nicht zu lange. Abgesehen davon: Die Unmittelbarkeit und Klarheit der Natur ist toll. Das Felsband um die Sittlisalp. Die Wolken. Aber auch die Tiere und Pflanzen. Vis-à-vis der Hütte entdeckt man mit dem Spiegelrohr Hirsche als rote Punkte im satten Waldgrün. Die Geräusche. Wanderschuhe auf Stein, Regen auf dem Hüttendach. Am Montag Morgen dann die Rückfahrt mit Reto. Eineinhalb Stunden nach Zürich. So nah und doch so fern.