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Auf Kommentar antworten
Das Lamm
Heute bekomme ich Besuch von meinen Eltern. Da mir das Lamm vom Mittwoch nicht aus dem Kopf geht, habe ich mit Felix abgemacht, dass wir auf die Spitze gehen und den Bock anschauen, den wir am Mittwoch nicht erwischt haben - und einen Blick auf das Lamm werfen.
Marie ist auch mit dabei und da es zu fünft im Subi definitiv zu eng ist, gehen meine Eltern zu Fuss zur Hütte und ich bringe Felix und Marie hoch. Felix will den Zaun prüfen, der im vorderen Teil nicht mehr unter Strom steht. Wir wollen uns zum Mittagessen auf der Spitze treffen. So fahre ich wieder hinunter zur Hütte, hole meine Eltern ab und wir wandern gemeinsam auf die Spitze. Der blauweisse Wanderweg ist teils sehr steil, aber meine Eltern machen das mit links.
Bei der tiefen Spitze will ich zum Schneefeld gehen und nach dem Lamm sehen. Das ist aber nicht mehr nötig. Vor mir liegt es, tot, mitten auf dem Wanderweg. Eigentlich wollte ich meinen Eltern nicht als erstes ein totes Schaf zeigen ...
Ich gehe hin. Die Zahlen auf der Ohrmarke des Lamms habe ich bereits am Mittwoch aufgeschrieben. Ich hole die Schere und schneide die Ohrmarke ab. Das Lamm entsorge ich, wie es hier oben üblich ist. Es muss vom Wanderweg weg, damit die Wanderer den Kadaver nicht sehen und die „heile Welt“-Idylle gestört wird. Den Rest übernimmt die Natur.
Gut drei Stunden später sehe ich auf dem Rückweg wie ein junger Steinadler über der kleinen Spitze kreist. Was des einen Leid ist, ist des anderen Freud.