Du bist hierWeblogs / Gaby Oswald's blog / Marlene und ich suchen die vermissten Schafe

Marlene und ich suchen die vermissten Schafe


VonGaby Oswald- Geschrieben am14 August 2008

Wie verabredet fahre ich mit dem 8-Uhr-Bähnli von Schattdorf auf die Haldi. Walti nimmt mich oben in Empfang und wir fahren gemeinsam zu seinem Haus. Walti kann leider nicht mitkommen, da er einem Bauern versprochen hat, Silo-Ballen zu machen. So mache ich mich mit seiner Frau Marlene auf den Weg. Wir fahren mit dem Auto ins Oberfeld. Von dort geht es zu Fuss Richtung Bälmeten.

Unterwegs sehen wir ein paar Gemsen in den Felsen herumkraxeln. Es ist neblig und die Sicht ist schlecht. Noch sind wir im Gebiet eines Älplers, der hier mit seinen Kühen den Sommer verbringt. Vorbei an seiner Alphütte kommen wir bald ins Schafweidegebiet. Wir bleiben immer wieder stehen und rufen nach den Schafen: "Tztztz Schäfeli, leck, leck!"
Zwei Wanderer überholen uns. Ich biete sie darum, zu jutzen, falls sie irgendwo Schafe entdecken. Bei dem Nebel sehen acht Augen mehr als vier. Ich achte auch immer wieder gut auf Nazca, meinen Hund. Wenn sie Schafe wittert wird sie unruhiger und drängt vorwärts. Aber momentan geht sie entspannt neben uns her - also keine Schafe weit und breit. Da hören wir die Wanderer jutzen. Haben sie wirklich unsere vermissten Schafe gefunden? Schnell steigen wir zu ihnen hoch. Die Schafe, die die Wanderer gesichtet haben, sind nicht sehr zutraulich und machen sich langsam davon. Marlene sagt: "Das sind nicht unsere Schafe!" Schade, es wäre zu schön gewesen.

Wir lassen die acht Schafe ziehen und wandern weiter. Zwischendurch hat man das Gefühl, der Nebel löse sich auf, vor allem dann, wenn die Sonne duch ihn hindurchscheint. Es wäre viel einfacher die Gegend abzusuchen ohne den dicken Nebel. Leider zieht es gleich darauf wieder zu.
Nach gut einer halben Stunde sehen wir am Boden frische Kotspuren von Schafen. Marlene ruft wieder nach den Schafen und wir sind uns beide sicher das wir Schaf-Tricheli (Schafglöckchen) hören. Und Nazca zerrt wie wild an der Leine. Wir steigen die letzten Meter zum Grätli hoch. Oben erwartet uns eine super Aussicht: Der Blick auf das Nebelmeer über Erstfeld ist offen. Wir sehen bis zum Bälmeten. Rechts vor dem Bälmeten grast eine grosse Gruppe von 26 Schafen. Marlene beobachtet, dass ein paar braune Schafe dabei sind. "Das sind wieder nicht unsere!" sagt sie enttäuscht. Es ist schon nach 12 Uhr und wir haben beide Hunger. Wir suchen uns ein windstilles Plätzchen für die Mittagspause. 

Es ist faszinierend auf der einen Seite des Grates Nebel zu sehen und auf der anderen Seite Sonnensschein. Nach dem Essen packen wir unsere Spiegelrohre (Feldstecher) aus und suchen die Gegend auf der Sonnenseite ab. Unter uns befindet sich eine Alp mit Rindern. Marleen erzählt mir, dass Walti mit dem Älpler gesprochen und diesen über die Flucht ihrer Schafe ins Tal informiert habe. Er würde sich bei ihnen melden. Es sei ihm allerdings aufgefallen, dass seit Montag keine Gemsen mehr hier seien. Sonst könne er die Gemsen täglich beobachten, jetzt seien sie allerdings weg. "Das sind schlechte Zeichen!" meint Marleen. Schafe, die nach Hause laufen und Gemsen, die ihr Weidegebiet verlassen. Sie wünscht sich so sehr, dass wir die Schafe finden. Die Kinder hätten ihr gestern erzählt, dass der Papi Tränen in den Augen gehabt hätte. Für Marlene und Walti sind ihre Schafe eben nicht einfach irgendwelche Nutztiere: Sie lieben sie und machen sich grosse Sorgen.

Ich möchte mir nun die Schafe genauer ansehen, die vor dem Bälmeten weiden. Wir wandern nach vorne und - siehe da! - es sind Schafe mit einem grünen Wollzeichen auf dem Kopf. Marlene ist ganz aufgeregt. "Sind das wirklich unsere?" Sie sucht nach der Liste mit den Ohrmarkennummern. In der Zwischenzeit fange ich ein Lamm ein. Ich gebe ihr die Ohrnummer an - und tatsächlich: Das ist eines von den vermissten Schafen. Es fehlen total zehn Schafe - und hier haben wir sieben der vermissten Tiere gefunden. Die Schafe sind zutraulich und wir können bei allen bis auf ein sehr wildes Lamm die Ohr-Nummern ablesen. Die Schafe sind nicht verstört und reagieren auch auf Nazca meinen Hund nicht ängstlich. Im Gegenteil: Die Lämmer sind neugierig und wollen sie beschnuffeln. Marleen möchte die sieben Schafe am liebsten mit nach Hause nehmen. Sie lassen sich aber nicht von den 19 anderen Schafen trennen. So lassen wir sie bei dieser Gruppe und machen uns auf den Rückweg. Es braucht Ueberwindung, den sonnigen Grat zu verlassen und wieder in den Nebel einzutauchen. Marlene geht es nun viel besser. Wir haben sieben der vermissten gefunden und ich bin sicher, dass die anderen drei auch noch auftauchen werden.

Irgend etwas muss sie erschreckt haben, daran gibt es keinen Zweifel. Ich vermute, ein unkontrollierter Hund. Oder ein Luchs. Auf diese Möglichkeit machte mich später noch ein anderer Schafbesitzer aufmerksam. Leider können uns die Schafe nicht erzählen, was genau passiert ist.

Auf dem Nachhauseweg rufen wir noch ein paar Mal nach den Schafen. Einmal hören wir wieder Glöckchen bimmeln. Da aber der Nebel wieder so dicht ist verlassen wir den Wanderweg nicht. Ich habe mir die Ohrnummern der drei noch vermissten Schafe notiert und werde in den nächsten Tagen weiter auf Schafe mit einem grünen Punkt auf dem Kopf achten.

Ich bin sicher, wir finden auch die restlichen drei Schafe. Als Hirtin muss Frau immer positiv denken.